Peter Weiermair: Zum Radierwerk Markus Vallazzas
Wieland Schmied, Markus Vallazza, Gabriella Belli: Zum Zyklus „Die göttliche Komödie“
Otto Breicha: Zu den „Psychogrammen“ in den Skizzenheften zu „Die göttliche Komödie“
Otto Breicha: Mappenwerk „Vom Herzzerreißenden der Dinge“
Otto Breicha: Mappenwerk „Im Reich der Fanes“
Otto Breicha: Mappenwerk „Parnass“
Markus Vallazza „Zu meinen Porträts“
Kristian Sotriffer: Mappenwerk „Oswald von Wolkenstein“

Peter Weiermair: Zum Radierwerk Markus Vallazzas

Markus Vallazza ist zum einem scharfer Beobachter der Realität. Er studiert sie in ausschnitthaften Segmenten der Wirklichkeit oder arrangierten Kombinationen von Dingen (...) oder er studiert die vermittelte Realität in den fotografischen Porträts wichtiger Künstler, Dichter oder Maler sowie Intellektueller des 20. Jahrhunderts, die er in seinen Parnass aufnimmt.

Auf der anderen Seite ist er inspirierter Erzähler und Erfinder von Figuren und Geschichten, aber eben nicht Illustrator, sondern subjektiver Kommentator wesentlicher Werke der Weltliteratur, die er zum Ausgangspunkt seiner phantastischen Bilderzählungen macht.

Als Beobachter (nicht als Erzähler) wählt er sich Gegenstände, die auch ihrer Struktur nach dem Medium der Radierung entgegenkommen, vertieft sich mit Hilfe des radierenden Zeichnens oder zeichnenden Radierens in den jeweiligen Gegenstand. Er studiert die reale Welt nicht um ein naturalistisches Abbild zu vermitteln. Ihn interessiert die nur in der langwierigen Radierzeit erreichbare Dichte. Das Radieren selbst ist für ihn ein Vorgang der meditativen Versenkung in einen Gegenstand.

Stellt er als präziser Beobachter den Gegenstand ins Bild, so ist sein Verhalten beim Erzählen gänzlich anders. Manche Begebenheiten oder Figuren werden hier ganz verdichtet ausgeführt, als ob der Erzähler die Bedeutung des Dargestellten unterstreichen wollte, uns zwingen möchte, genau hinzusehen. Dieser Vorgang lässt sich, wenn man die filmische Terminologie bemühen wollte, mit einem Heranzoomen von etwas, was vordem im Hintergrund war, vergleichen. Andere Vorgänge werden oft nur durch haarfeine Linien angedeutet, sodass sich beim Lesen (Sehen) der Radierung eine Hierarchie der Erzählung ergibt. Vallazza führt auch Regie, indem er den Leeraum mit einbezieht, das Bild oft nahe an den Bildrand führt oder einen Overall-Effekt provoziert.

Auszüge aus dem Vorwort „Der Radier- und Erzählstil Markus Vallazzas“, in „Markus Vallazza. Das Radierwerk 1979-2006“, Band II

Zum Zyklus „Die göttliche Komödie“ von Dante Alighieri


Wieland Schmied

„Was Markus Vallazza in seinen Radierungen wie in den sie vorbereitenden farbigen Zeichnungen in seinen Skizzenbüchern unternommen hat, ist – so verstehe ich es – nicht mehr und nicht weniger als uns vor Augen zu stellen, wie viel uns Dante auch heute noch zu sagen hat, wie viel zeitlose Wahrheiten er zu verkünden hat, auch wenn wir seinen Glauben nicht mehr zu teilen vermögen und der von ihm entworfene Kosmos, der der Kosmos des Mittelalters war, eingestürzt ist.“

„Wer immer mit Markus Vallazza die Wanderung durch Dantes Inferno, Purga­torio und Paradiso antritt und ihm aufmerksam auf dem Weg von den Skizzenheften zu den Radierplatten folgt, dem wird wohl als das Eigentümliche der hier vorliegen­den Leistung nicht die Bewältigung der vielen Details oder die Gestaltung eines bestimmten Blattes erscheinen (mag er da noch so viel Überraschendem und Rühmenswertem begegnet sein), sondern die unvergleichliche Intensität, mit der Vallazza die Herausforderung angenommen und sich seiner Aufgabe gestellt hat.“

Zitiert aus dem Essay „Das unerschöpfliche Thema. Markus Vallazza auf den Spuren Dantes“, in „Markus Vallazza. La Divina Commedia/Die göttliche Komödie“ im gleichnamigen Katalog zur Ausstellung im MART, Roverto, Italien

 

Markus Vallazza 

Vor ungefähr zehn Jahren befand ich mich, wie seinerzeit Dante Alighieri ‚in einem finsteren Wald‘ (heute würde man Midlife-Crisis dazu sagen) und wusste nicht, wie ich da hineingeraten war und noch weniger, wie ich da wieder herausfände. In dieser für mich existentiell unseligen Zeit fiel mir ganz zufällig die im Reclam Verlag edierte „Göttliche Komödie“ in der Übersetzung von Hermann Gmelin in die Hände. Davon war ich dermaßen fasziniert und in Bann gezogen, dass ich kurzerhand beschloss, mich damit eingehender zu befassen, was für mich bedeuten sollte, mich zeichnerisch beziehungsweise therapeutisch mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil ich mir davon eine Besserung meines Zustands oder gar Heilung versprach. 

Was ich mir mit Dante insgesamt aufgebürdet habe, wurde mir erst nach und nach bewusst, als ich mich eingehender mit der ‚Göttlichen Komödie‘ und der sich anhäufenden Sachliteratur auseinandersetzte. Unter anderem las ich in der ‚Kulturgeschichte der Neuzeit‘ von Egon Friedell folgende entmutigende Passage: ‚Die Göttliche Komödie ist in jedem Vers zugleich Enzyklopädie, Predigt und dramatisches Epos. Diese sublime Einheit von Glauben, Erkenntnis und poetischer Gestaltung konnte nur einem mittelalterlichen Geist gelingen: sie ist seither der unerfüllte Traum aller Künstler, aber schon der bloße Versuch einer solchen Schöpfung könnte in unserer Zeit nur von einem Wahnsinnigen unternommen werden: er wird erst wieder möglich sein, wenn die Bedingungen unserer Kultur sich von Grund auf geändert haben.‘

Mit dieser defätistischen Vorwarnung und im Zuge der Beschäftigung mit der Danteschen Universalia tauchte wiederholt die Frage auf: Was mag wohl einen Menschen des XX. zum XXI. Jahrhunderts dazu bewegen, sich mit einem vor siebenhundert Jahren verfassten Werk künstlerisch auseinanderzusetzen? ‚Ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen‘ wurde mir gelegentlich nahe gelegt. Und ich sagte es mir zwischendurch auch. Aber seltsam, im Dante weiter lesend und forschend, fand ich erstaunliche Parallelen zur Jetztzeit, ähnlich gelagerte kulturpolitische Aspekte, mit einem Wort wahrlich mittelalterliche Zustände, die mich auf Grund der vorgefundenen Aktualität animierten – ungeachtet der Unkenrufe und kontraversiellen Argumente –, mich an diesem schwierigen Stoff zu versuchen, wohl wissend, dass mein Experiment nur Teilaspekte und -ergebnisse zutage fördern würde. 

Nach Beendigung der Arbeit zum Inferno, nahm ich das Purgatorio, den Läuterungsberg, in Angriff, in der Hoffung, dass auch mir – wie ehedem Dante und Vergil in der „Divina Commedia“ – der „trapasso“, der Übergang aus dem acherontischen Zustand in lichtere Gefilde, gelingen möge. Vom Bildnerischen her betrachtet, ist der Läuterungsberg, wie vordem die Hölle, bildintensiv und insofern Nahrung für die Phantasie, um die Geschehnisse in den dreiunddreißig Gesängen gestalterisch umsetzen zu können.

Schwieriger und fast unmöglich schien es mir anfänglich, das in ätherischen Sphären angesiedelte Paradiso ikonographisch zu vergegenständlichen, nachdem bekanntlich Theosophie, Metaphysik und Kosmogonie sich bildnerischer Darstellung entziehen. Mit Ausnahme von Sandro Botticelli, William Blake, Gustave Doré und Salvador Dalí, haben die meisten Künstler vor dieser Aufgabe kapituliert.

Trotz mehrfacher Empfehlungen, das Paradiso mit Dantes kosmischen Visionen nicht zu bebildern, haben es meine Neugier, oder Sturheit, wenn man so will, dann doch noch auf einen Versuch ankommen lassen. Das belegen eine Unmenge von Zeichnungen, Monotypien und eine ganze Reihe von Skizzenheften, die mir als Fundus für den geplanten Radierzyklus zugute kamen. So ergab es sich, dass ich anstelle der in Dantes Gesängen herumschwirrenden Heiligen und Engeln, auf recht unorthodoxe und laizistische Art und Weise, meine poetischen Möglichkeitswelten erfand, indem ich anhand der mir lieb gewonnenen Persönlichkeiten aus Literatur, Musik und Kunst das Empyreum bevölkerte. Zum Beispiel mit Matthias Claudius, Jens Peter Jakobsen, Antoine de Saint Exupéry, Franz Schubert und Van Gogh, um nur einige zu nennen. Meinem Liebling unter den Heiligen, Franz von Assisi, räumte ich im Himmel einen Sonderplatz ein.

Hinzufügen möchte ich noch, dass von allem Anfang an die drei Jenseitsbereiche in Dantes Göttlicher Komödie – zumindest für mich – nur diesseitig erfahrbar sind, nachdem ich Hölle, Läuterungsberg und Himmel als Teil der menschlichen Natur und somit auch meines Daseins betrachte.

Auszug aus „Anmerkungen zu einigen meiner Radierzyklen“, in: „Markus Vallazza. Das Radierwerk 1979-2006“, Band II, Folio Verlag Bozen/Wien

 

Gabriella Belli 

„Markus Vallazzas Meisterschaft in der Radierung beweist eindringlich, dass ein traditionelles künstlerisches Ausdrucksmittel gemeinsam mit einer aktuellen Interpretation literarischer Textvorlagen dem Vergleich mit den Materialen der heutigen Zeit standhalten kann.“

Gabriella Belli anlässlich der Ausstellung „La Divina Commedia/Die göttliche Komödie“ im MART Rovereto, Italien

Otto Breicha: Zu den „Psychogrammen“ in den Skizzenheften „Die göttliche Komödie“

„Für sein opus maximum hat sich Markus Vallazza besonders gründlich vorbereitet, hat allerhand viel in diverse Skizzen-Bücher eingetragen: Einfälle und Szenen, viel Handschriftliches, Mutmaßliches, wer dieser Dante wohl gewesen ist, der sich derartig imposant auf geradezu erdrückend Imposantes eingelassen hat, wie es dafür in ihm zugegangen ist. Eigentlich hat sich alles in diesem Kopf (Gehirn) zugetragen. Und zum Beispiel ist in besagten Skizzenbüchern festgehalten, was sich in diesem Kopf abspielt, ein geballtes Universum im Kleinen. Und so lässt es sich aus- und fort spinnen, dass alle Szenen, die aus jener Dichtung hervordrängen und für Vallazza zu umbildern waren, in diesem Dichter-Haupt geortet werden. 

Darum gibt es das eine oder andere radierte Blatt, das den Dante-Kopf mit teilweise aufgebrochener Schädeldecke zeigt, aus dem figürliches Durcheinander wie Wurzelwerk gärt und quillt. Und das wieder hat Vallazza dazu gebracht, den Kopf seines Dichters verschiedentlich her- und durchzunehmen. Als einen Zyklus sehr besonderer Art, der nichts „entwickelt“, nichts nacherzählt oder „dramatisiert“, aber eine Häufung von Ansichten eines je nachdem veränderten Grundeinfalls ausbreitet, 378 Möglichkeiten Dantes Kopf je nachdem aufzufassen: visionär und apokalyptisch, blumig oder schematisch, architektonisch, freudianisch, affig und libidinös. Es gibt da Köpfe aus Schichten oder gar ganz und gar aus Linien entwickelt, doppel- und dreigesichtig, kristallin und biotopisch. Nicht durcheinander aber neben einander aufgereiht. Ein Kopf, wie er je nachdem verschieden sein kann, weil er alles das zusammen ist.

Olof Lagercranz hat gemeint, Dantes „Göttliche Komödie“ sei nichts Tatsächliches aber ein Zustand. Vallazza pflichtet auf seine (also bildnerische) Weise dem bei, indem er Vorstellungsmöglichkeiten des Dichter-Hauptes in beeindruckender Vielfalt und Fülle sich und dem Betrachter veranschaulicht. Es sind Improvisationen aus einem starken „Willen zur Vorstellung“, der sich in vielfältiger Darstellung nicht verzettelt, sondern sich mit den vielen verschiedenen Ein- und Zustiegen die Chance erhofft, dem was da anliegt, irgendwie näher und nahe zu kommen.“

Auszüge aus dem Essay „Aus einem starken Willen zur Vorstellung“, in „Markus Vallazza. Dante, Psicogrammi/Psychogramme“, hrsg. von Fulvio Vicentini, Bozen 2006

Otto Breicha: Zum Mappenwerk „Vom Herzzerreißenden der Dinge“

Selber ein durchaus poetischer Mensch, rankt Markus Vallazza sein bildnerisches Schaffen gern um Werke der Literatur. Rimbaud, Homer, Poe, aber auch Casanova, H.C. Artmann oder sein Landsmann, der Wolkensteiner haben ihm dazu Vorlagen geliefert. Im Vorjahr hat er sich dann ausführlich und enthusiasmiert (wie das seine Art ist) mit Büchern von Friederike Mayröcker beschäftigt. Mehr als hundert Zeichnungen als graphische Paraphrasen über (zum Teil von bestimmten Textstellen ausgelöste) Leseerlebnisse aus dem Band „Das Herzzerreiszende der Dinge“ sind dazu entstanden, die in der Folge jene Radierungen zeitigten, die nunmehr zur Mappe zusammengefasst, vorliegen.

Vallazza ist nicht unbedingt ein Bebilderer im üblichen Sinn. Er „illustriert“ nicht, sondern lässt sich von dem, wozu er zeichnet, einstimmen und anregen: zu Bildern, die (erdichtete) Bilder und Textverläufe zum Anlass nehmen. Als ein künstlerisches Echo gewissermaßen, indem Vallazza, das, was ihn von anderswoher anrührt, ins eigene Empfinden spiegelt. Er, der selber inständig beeindruckt worden ist, beeindruckt möglichst auf gleiche Weise. Womit sich gewissermaßen ein Kreis schließt: Was ihm zugeströmt war, strömt er derart wieder zur Betrachtung zurück. Friederike Mayröckers sensibel-kompliziert verzweigte Prosa war dafür besonders geeignet, und ebenso empfindsam-empfindlich ist der Zeichner Vallazza an ihr fündig geworden. 

Auszug aus „Markus Vallazza. Vom Herzzerreißenden der Dinge“. Zeichnungen zu Friederike Mayröcker“, Publikation Ausstellungen in Salzburg und Graz, Salzburg 1992

Otto Breicha: Zum Mappenwerk „Im Reich der Fanes“

Das Reich der Fanes ist ein Hauptstück jener Dolomitensagen, die Karl Felix Wolff aufgezeichnet und in einem imposanten, „vor Ort“ gern und viel gelesenen Band herausgebracht hat. Wolff hat damit das getan, was die Brüder Grimm für den Bereich der deutschen Volksmärchen besorgten: Er hat am Sagenkreis seiner Heimat zusammengesucht und zusammengefasst, was da und dort wie auch immer überliefert war. Viele, so auch Markus Vallazza, sind mit diesem Buch aufgewachsen. Die Schriftstellerin Anita Pichler hat für den Haymon Verlag in Innsbruck einen Teil dieser gut eingewurzelten Dolomitensagen teilweise neu bearbeitet (also auf ihre Weise wiedererzählt). 1992 ist dieses Buch herausgekommen. Ulrike Kindl, die in Venedig unterrichtet, hat es auch wissenschaftlich „auf den Punkt“ gebracht, Markus Vallazza den Band bebildert, also mit Darstellungen umrankt, wie er das, seitdem er zeichnet, immer wieder für Bücher und Dichter tut, die ihn vordringlich beschäftigen.

…Natürlich bindet er mit seinen dazu nachentstandenen Kaltnadelarbeiten bei den Zeichnungen an, die für das Buch entstanden sind. Die auch keine regelrechten „Illustrationen“ gewesen sind (nämlich ein mehr oder weniger direktes Veranschaulichen literarischer Vorgaben), sondern ein Schweifen in Vorstellungen oder ein Spielen in/mit Andeutungen, damit sich irgendetwas in seinem Sinn auf einem Stück Papier entwickelt, zu eigenem Vergnügen und mit den Mitteln bewerkstelligt, welche die Zeichnung dem Zeichner in die Hand drückt. 

Angesichts der Dolomiten ist er zum Künstler geworden. So hat ihm das Grödner Joch zum Beispiel solche Erlebnisse vermittelt, wie die Kunst nur selten. Im Anschauen der Felsflanken ist er zum Figuren-Seher geworden: Er hat früh (und seither immer wieder) die Erscheinungsweise dieser Bergwelt als förmlich gebildhauerte Reliefs erlebt, Gesichter und Figuren in ihnen erblickt, wie er sie dann ähnlich in Zeichnungen (und Radierungen) gestaltet hat. So wie er die Steinwand als Bildfläche erlebte, hat er dann diese als Wand für dementsprechendes bildnerisches Hervortreten verstanden. Die sagenhaften Riesen und Ungeheuer, die in seinen neuen graphischen Arbeiten auftreten (besonders in seinen Zeichnungen und Radierungen zu den Dolomitensagen), kommen im Gebirge, wie er es erlebt und erleben lässt, ganz besonders riesenhaft und unheimlich vor. Was er wahrnimmt, um es auf seine Weise (also zeichnerisch) zu beherzigen, versteht er dann als Kunst, wenn es ihm gelingt, dabei und damit „eigenes Vorkommen“ mit ins Spiel zu bringen. So sind ihm auch die Sagen des Landes, in das er hineingeboren wurde, „Fossilien einer versunkenen Zeit“, wie er es selber so sagt. Eine menschheitliche Zurückerinnerung an einen Zustand unmittelbarer Naturverbundenheit. Seit dazumal hat sich der Mensch jedenfalls (meint Vallazza) „im Grunde aber wenig verändert“. Ein gewisses animistisches Wesen lebt noch immer archetypisch in ihm fort. Noch immer gibt es die gewissen ursprünglichen Gefühle und Empfindsamkeiten, wie er sie selber empfindet: Liebe und Hass, Angst und Traum, Schicksal und Tod sind ihm die Themen, die er mit seiner Bildnerei umkreist. Und die er, schön ursprünglich und in die Natur verwoben, insbesondere bei seiner Interpretation der Dolomitensagen zum Anlass nimmt.

Wie er es zu künstlerischem Zweck an- und durchspielt, zitiert und paraphrasiert, das hat über alle Änderungen von Auffassung und Machart hinweg eine (nämlich seine unverwechselbare) Art. Wohl wert, dass sie so betrachtet und bedacht werden, wie sie es dafürstehen. Wer „Postmodernes“ liebt, müsste an Vallazza seine Freude haben. Der war aber schon so, lange bevor dergleichen Verhalten zur Mode etikettiert worden ist.

Auszug aus dem einleitenden Essay „Knapp am Ursprung“ zum Mappnwerk „Im Reich der Fanes“, wiederabgedruckt in: „Markus Vallazza. Das Radierwerk 1979-2006“, Band II, Folio Verlag Bozen/Wien

Otto Breicha: Zum Mappenwerk „Parnass“

Vallazza fühlt sich beim Porträtieren als eine Art Collagist, indem er dem Konterfei ganz spezifische Einzelheiten aus Leben und Werk beifügt: Picasso als Kunsttorero, Hesse als Gartenfreund, Trakl als Katastrophen witternder Prophet, De Chirico als gerüsteter Wappenreiter... Vallazza arrangiert die Bildnisse von seinen „Stars“ und „Leitbildern“, indem er Umstände mit einbezieht und ihre Erscheinung durch Attribute erläutert. Er bezeugt Verehrung und fügt jenes Wissen den Bildnissen bei, das zum Verstehen und Erkennen der Persönlichkeit notwendig ist. Im Gestalterischen zeichnet er sich durch genaues Beobachten und Wahrnehmen aus sowie durch sein exzellentes Handwerk mit dem Anspruch auf überzeitlichen Belang.

Otto Breicha, anlässlich der Ausstellung „Mein Parnass“, Salzburg 1985

Markus Vallazza: Zu meinen Porträts

Zeichnend ist man andauernd mit Fragen konfrontiert. Man könnte ein Leben lang ein und dasselbe Modell zeichnen oder malen, ohne jemals hinter das Rätsel Mensch gelangen zu können. Dazu fällt mir Oskar Wilde ein, der sich selbst in seinen Briefen mit Apollo, Nero, Don Quijote und sogar mit Franz von Assisi verglich. Dieses Beispiel zeigt, wie ambivalent und komplex jede Existenz im Grunde ist. Erst wenn eine Art Symbiose zwischen Maler und Modell möglich wird, ist die Voraussetzung für ein gutes Porträt gegeben. Es würde hier aber zu weit führen, die Auseinandersetzung mit dem so genannten vis-à-vis abzuhandeln, weshalb ich noch kurz auf meine nach Fotos konzipierten Porträtradierungen eingehen möchte. 

Nachdem ich ein leidenschaftlicher Leser und Sammler von rororo-bildmonographien bin, findet sich in meiner Bibliothek seit nunmehr fünfzig Jahren eine relativ große Anzahl besagter Bändchen, von denen ich einige immer wieder zur Hand nahm. Angeregt vom biographischen Schrift- und Bildmaterial, suchte ich mir jeweils jene Persönlichkeiten aus, die mein besonderes Interesse fanden, wie, um nur einige zu nennen: Shakespeare, Hölderlin, Mozart, E. A. Poe, Rimbaud oder Nietzsche, deren Leben und Werk mich zeitlebens beschäftigt hat. Kaum eine andere Arbeit hat mich so beflügelt und bereichert. Ich stand sozusagen auf Du und Du mit meinen „Auserwählten“, so als wären sie mir Modell gesessen. Beim Zeichnen und Radieren dieser so unterschiedlichen Individuen und Charaktere fand ich auch zu ihren jeweiligen Werken einen direkteren und besseren Zugang.

Das Porträtieren, die Auseinandersetzung mit dem Modell, hat mich gelehrt, wie einmalig und unverwechselbar jedes Individuum ist und dass der Mensch, für mich zumindest, das aufregendste und rätselhafteste Wesen auf unserem Planeten ist.

Auszug aus „Zu meinen Porträts aus fünfzig Jahren“, in: Markus Vallazza. Portraits / Ritratti 1956-2002“, Edition Raetia, Bozen 2006

Kristian Sotriffer: Zum Mappenwerk „Oswald von Wolkenstein“

Der Wolkensteiner ist eine harte Nuss. Man muss sich vor ihm in acht nehmen. In vielerlei Gestalt überrascht er einen gern des Nachts in Kostümierungen und Maskierungen aller Art, das Schwert in der einen, den Federkiel in der anderen Hand. Nie wirklich fassbar, obwohl als konkrete Gestalt zu erkennen, beginnt er einen zu traktieren, beansprucht er sein Gegenüber ganz, wenn es sich mit ihm einmal eingelassen hat. Dann saugt er es förmlich auf und zwingt es, mit ihm zu trinken, zu würfeln, Raufhändel auszurichten, zu singen oder einen hinterhältigen Plan auszuhecken. Glaubt man, ihn schon ein wenig zu kennen und ihm hinter die Schliche zu kommen, verändert er Wesen und Gestalt plötzlich chamäleonartig; voller List und Tücke durchkreuzt er sämtliche Pläne, seiner habhaft zu werden. Dann klingelt er mit den Schellen, die er gern in sein Gewand hängt, blökt und meckert wie ein Tier, aber ebenso plötzlich richtet er sich herrisch und selbstbewusst auf, fordert dies und jenes, duldet keinen Einwand. Versucht man ihm über Mittelsmänner beizukommen, stellt sich rasch heraus, dass sein proteusartiger Charakter sich auch dann der Definition entzieht, wenn man glaubt, sich seiner mittels unverrückbarer Sachverhalte, die nicht zuletzt er selbst zu bezeugen scheint, bemächtigen zu können. Höhnisch und reserviert blickt er jene an, die glauben, einen Zipfel seiner selbst fest in den Händen zu halten, weil er doch häufig sehr offenherzig erscheint: die Gelehrten und Experten, die für ihre Analysen und Vergleiche festen Boden zu finden geglaubt haben. Irgendwann stampft er auf, mit toben, wüten, tichten, singen mangerlei, und höchst kunstvoll erbaute Theorie-Häuser stürzen wie ein aufgestelltes Kartenspiel in sich zusammen. 

Was konnte einen Künstler dazu bewegen, in die Geschichte dieses Mannes und die seiner Zeit zu tauchen, mehrere Stockwerke tief, in mäßig erleuchtete, labyrinthische Regionen, durch die der Faden der Ariadne kaum zu finden ist? Was gibt‘s dort unten überhaupt zu finden für den, dessen Nachbarn den Mond besuchen, nachdem sie sich des Planeten Erde bis zu dessen Unkenntlichkeit bemächtigt haben?

Markus Vallazza hat einen Kampf mit Windflügeln zu bestehen gehabt, als er daran ging, sich mit seinem engeren Landsmann und Altvorderen zu messen, ihm Paroli zu bieten, ihn mit seinen feinen Nadeln auf Radierplatten aufzuspießen. Hätte er nicht auf Erfahrungen, Erlebnissen und Erkenntnissen gründen können, die denen seines Partners gleichen; hätte er ihn dort, wo er nicht fassbar erscheint, in seiner Eigenart nicht zu respektieren und sie hervorzuheben gewusst; hätte er des Wolkensteiners »Psychogramm« zu zeichnen versucht und nicht aus einem Vorstellungsvermögen geschöpft, das mit dem seines Gegenüber vergleichbar ist, wäre er gar aufs illustrative Detail versessen gewesen – er hätte ihn nicht packen können. Da er sich ihm zunächst aber durch eine Hintertür näherte, nämlich die der Poesie, einer Pforte zur Wahrheit und mit der Sage verwandt, konnte ihm der Zugang zu einer der facettenreichsten Figuren des ausgehenden Mittelalters gelingen.

»Die Sage«, sagt Franz Kafka (in seiner Skizze zu »Prometheus«), »versucht das Unerklärliche zu erklären. Da sie aus einem Wahrheitsgrund kommt, muss sie wieder im Unerklärlichen enden«. Der Künstler sucht das Unerklärliche in der Gestalt des Wolkensteiners zu ergründen und lässt das, was er gewonnen hat, wieder im Unerklärlichen münden. Das Geheimnis, das sich erst hinter aller Analyse aufbaut, bleibt auch in den Bildern gewahrt, die das disparate Leben eines Ritter-Dichters in seinen verschiedenen Sequenzen erhellen und dennoch jenen Rest aussparen, der unauflöslich ist und unerklärbar, nicht darstellbar wie alles, was für den Menschen Bedeutung hat. Das Geheimnis bleibt bewahrt.

Auszug aus dem einleitenden Essay zum Mappenwerk „Oswald von Wolkenstein“, wiederabgedruckt in: „Markus Vallazza. Das Radierwerk 1966-1978“, Band I, Folio Verlag Bozen/Wien